"jcr:81a29d93-b7c0-4715-96e4-3edb63304e10" (String)
Wir leben in einer vernetzten Welt. Praktisch alle sozioökonomischen Phänomene und Herausforderungen, vom Klimawandel über die öffentliche Gesundheit oder die schwindende Biodiversität bis hin zu Finanzkrisen oder Verkehrsstaus basieren auf Netzwerkreaktionen. Daher arbeiten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler weltweit fieberhaft an einer universalen Theorie, die in der Lage ist, die globale Ausbreitung und Auswirkung von punktuellen, lokalen Veränderungen oder Störungen zu beschreiben – und damit besser vorauszusagen.
Oft können die Wechselwirkungen auf einer lokalen Ebene beschrieben werden, aber es bleibt unklar, wie sich diese im Großen auswirken. Ein Team um Prof. Dr. Jan Nagler, Professor für Computer Science an der Frankfurt School of Finance & Management, hat nun ein Modell entwickelt, das erstmals globale Auswirkungen von kleinen lokalen Veränderungen sinnvoll quantifizieren und damit Voraussagen treffen kann. Dazu kann praktisch jedes Phänomen oder Netzwerk genommen werden, das kleine Auswirkungen lokal genau beschreibt, egal ob Epidemien oder Finanzkrisen.
Störungen vorhersagen – egal, ob in der Wirtschaft oder in Ökosystemen
Unsere Wirtschaft ist eines der naheliegendsten Beispiele für ein Netzwerk von Einheiten, die voneinander abhängig sind und auf Änderungen reagieren. Hier ist zwar im Kleinen oft klar, wie sich eine Änderung der Geschäftsbedingungen auf bestimmte Geschäftspartner auswirkt, ein lokales Modell ist vorhanden. Unklar war bisher jedoch, wie und wann ein möglicher Dominoeffekt andere Geschäftspartner einbezieht, die sich an einer weiter entfernten Stelle im Netzwerk befinden. Wenn die Störung groß ist, beispielsweise eine Bank zahlungsunfähig wird, gab es bisher keine Theorie, die zuverlässig und universell vorhersagen konnte, wie sich diese Störung global auswirkt. Das neu entwickelte Modell des Teams um Jan Nagler kann dazu fundierte Aussagen treffen – und zwar für alle möglichen Netzwerke und lokal-dynamischen Modelle –, sofern die Ausgangsstörung oder -änderung klein ist.
Ökosysteme sind ein weiteres Beispiel: Verschiedene Populationen und Arten hängen voneinander ab, beispielsweise über Nahrungsketten. Große Störungen können zum Aussterben ganzer Arten führen. Wenn die ursprüngliche Störung oder Änderung klein ist, beispielsweise ein lokales Fischsterben, kann das neue Modell vorhersagen, wann und wie die Situation andere Arten betrifft, beispielsweise Vögel, die sich weit weg vom vergifteten Flussabschnitt von diesen Fischen ernähren.
Knotenpunkte als Lösung
Wenn Signale über nur eine Leitung von A nach B transportiert werden, ist das Verbreitungsmuster dieser Signale leicht nachvollziehbar. Bei mehreren Leitungen wird das Verbreitungsmuster bereits komplexer. Wenn nun noch Weichen zwischen den Leitungen eingebaut werden, die eingehende Signale nach einem bekannten Schema verarbeiten, wird die Situation nochmals deutlich komplizierter: In diesem Fall verbreiten sich die Signale auf extrem vielen, sich gegenseitig beeinflussenden Wegen. Für diese Vielzahl an Ausbreitungsmustern hatten Netzwerkwissenschaftler bisher kein funktionierendes Modell. Dem Team rund um Jan Nagler ist nun in ihrer in der Fachzeitschrift Nature Communications veröffentlichten Studie „Impact of basic network motifs on the collective response to perturbations“ der Durchbruch gelungen.
Das Modell ordnet die untersuchten Netzwerke nach der Anzahl ihrer direkten Verbindungen und nach Dreier-Beziehungen, vor allem ABC-Dreiecken, anstatt alle möglichen Störungen und denkbaren Dynamiken aller Transfers von einem zum anderen Punkt zu analysieren – was praktisch unmöglich ist. Das Modell schaut das Netzwerk dazu aus der Sicht eines durchschnittlichen Knotens an: Wie leitet der Durchschnittsknoten das Signal weiter? Diese Betrachtungsweise bringt Ordnung in das scheinbare Chaos komplexer Ausbreitungsmuster. Damit ist jetzt erstmals eine zuverlässige Methode verfügbar, die Ausbreitungsgeschwindigkeit von Störungen und anderen Effekten, die von Interesse sind, vorherzusagen.
„Wenn man die Bewegungen der Himmelskörper von der Erde aus sieht, laufen die Planeten auf komplizierten Bahnen. Aber die richtige Betrachtungsweise, also Sonnen-zentrisch, erklärt die Bewegung: alle Planeten laufen auf Ellipsen um die Sonne. So ähnlich funktioniert die universelle Theorie der Ausbreitungsgeschwindigkeit“, vergleicht Jan Nagler das von ihm mitentwickelte Modell.